Macondo

21.Nov.2014 von

Zur Viennale hab ich es heuer wiedermal nicht geschafft, keine Ahnung warum mir das nie gelingen will? Umso mehr freut mich, dass der österreichische Film „Macondo“ nicht nur den großen Viennalepreis gewann, sondern nun auch in den heimischen Kinos zu sehen ist. Dorli und ich waren gestern im Kino …

„Macondo“ hmmmm, unglaublich, eine Asylantensiedlung mitten in Simmering, die ich noch  nie im Leben sah, obwohl ich ungezählte Male den Nino nach Albern ins Studio fuhr? Es erschüttert mich fast. Ich fahr seelenruhig vorbei an einer Wohnsiedlung, die seit Jahrzehnten bis zu 2000 Asylwerber aus aller Welt beheimatet, ohne, dass ich das mitbekomme?

Der Film spielt ausschließlich in dieser Siedlung und in der näheren Umgebung, die mir auch sofort bekannt vorkam: Handelskai, Hafen Wien, Baggerspielplatz für Kinder, Donau, Auen …. Die Handlung ist rasch erzählt: Ramasan, ein 11jähriger Tschetschene, flieht mit Mutter und seinen beiden kleinen Schwestern nach Österreich. Der Vater bleibt und stirbt im Krieg. Ramasan, als große Stütze der Familie, kümmert sich um alles: Einkaufen, Schwestern, Mutter, Behörden, Übersetzungen, „nebenbei“ geht er selber noch in die Schule. Nachts steht er öfters auf und betrachtet voller Bewunderung den „Altar“ den sie im Wohnzimmer aufgebaut haben, mit Fotos vom Vater. Isa, ein Kriegskamerad des Vaters zieht ebenfalls in die Siedlung und Ramasan versucht, mehr über den Vater herauszufinden. Als er bemerkt, dass Isa sich für seine Mutter interessiert, muss er handeln.

Sudabeh Mortezahi, die selbst mit ihren Eltern aus dem Iran geflohen ist, dreht die Geschichte fast nur mit Laiendarstellern. Ramasan, der junge Hauptdarsteller, aus dessen Sicht der ganze Film gedreht ist, ist ein solcher. Mir blieb die Luft weg, wie der Kleine ganz selbstverständlich und natürlich seine Rolle verkörperte, so, als ob er seine eigene Geschichte wiedergibt. Ich konnte leider nicht herausfinden, ob seine Lebensgeschichte ähnlich ist, wie die des Jungen im Film.

Es ist nun genau fünf Jahre her, dass ich meine Tschetschenfamilie kennengelernt habe und dadurch ein ganz, klein wenig Einblick bekam in die tschetschenische Kultur und Lebensweise. Der Film war für mich sehr berührend. Die Sprache, die ich zwar nicht verstehe, aber gewisse Redewendungen sehr wohl sofort erkannte und wusste, was damit gemeint war. Isa, der meinem Freund Umar nicht wirklich ähnlich sieht, aber mich doch so sehr an ihn erinnerte: die Hände, an denen mehrere Finger fehlten, vom Krieg zerschossen, die Art, wie er mit einem Messer einen Bogen schnitzt, die Art, wie er ein Elektrogerät repariert, viele Situationen im Film, die mir das Gefühl gaben: ja, das alles kommt mir sehr, sehr bekannt vor. Natürlich auch Ramasan, bei dem ich sofort an Mincael, oder Dzhabrail denken musste, jeweils Erstgeborene in den beiden Tschetschenfamillien, die ich kenne, denen schon viel Verantwortung innerhalb der Familie übertragen wird. Der Konflikt der Kinder, einerseits hier in einem offenen, westlichen Land zu leben, andererseits einer anderen Religion anzugehören. Der Konflikt, Kind sein zu wollen und Erwachsener sein zu müssen.

Ganz, ganz toller Film und meine Hochachtung vor dem kleinen Ramasan, der mich fast zwei Stunden lang verzauberte!

 

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