1. Hirschstettner Pfadfindertreffen

15.Okt.2012 von

Mitten hinein in meine coole soap-opera – meine Mutter brennt mit einem erfolgreichen, jungen Schönheitschirurgen durch – räuspert sich der Mann dezent im Schlafzimmer:  „guten Morgen, Schatzi…..“

Peinlich, peinlich …… ich sag jetzt mal lieber nicht, wie spät es ist. Ich werd mich nie, nie, nie daran gewöhnen, zeitig aufzustehen. Muss ich überhaupt?

Ok, es geht los ….. 1,2,3,4,5,6 Stiegen zur Kaffeemaschine, Mokka, PC aufdrehen, folgende inet-Seiten sind absolut notwendig für mich: Bank mit Kontostand J, Austriansoccerboard, orf.at, fm4, facebook – evt noch wiki, wenn ich am Vorabend irgendwas im Fernsehen gesehen hab, das mich besonders interessiert.

Mokka, Mokka, Mokka.

Es kristallisiert sich plötzlich ein Ohrwurm  „I can´t believe ist ….“ Ah, wahrscheinlich, weil heute das Popfest startet mit beth edges.

Rasch das Wichtigste im Haus erledigen und ab zum Billa, Frühstück holen. Heute kommt Fritz zu uns, geschäftlich natürlich, aber ein kleiner Brunch im Garten wird sich ausgehen.

Pünktlich um 10.00 läutet Fritz und die Männer tüfteln, checken und experimentieren im Keller an „hightech-Linealen“.

„hörst du den Südwind, er flüstert dir zu, Ta-hammy, Ta-hammy …“ ur lang nicht mehr gehört, dieses Lied!

Ich bereite eine feine, kleine Gartenjause zu und hab sogar noch Himbeersturm übrig. Herrlich, im Garten sitzen, quatschen, essen, lachen …. Um 15.00 Uhr raffe ich mich auf, um noch ein bissl in der Gegend rumzuzischen: liefern, mit Mutter in die Ordi, Apotheke, Lenny vom Kindi holen.

16.00 Uhr, die Herren sitzen immer noch im Garten und ich rede mir ab sofort ein, heute ist mein ganz persönlicher Urlaubstag – stressfrei, chillig, gemütlich! Genauso werde ich den heutigen Tag verbringen. Grad überlege ich, mich mit einem Glasl Himbeersturm in den Liegestuhl zu schmeissen, als es an der Tür läutet …… oh, mein Gott! Nicht schon wieder der amerikanische Erbschleicher – bitte nicht jetzt!!!!!

Der Mann und ich treffen gleichzeitig am Gartenzaun ein und sehen drei kleine, blonde Buben deutscher Herkunft, die folgende Frage an uns richten:

„wir sind eine Pfadfindergruppe aus Deutschland, wandernd unterwegs in Österreich … wir möchten fragen, ob es möglich wäre, eine Nacht unter einem Dach zu verbringen, weil unser Zelt von der letzten Nacht noch ganz nass ist und für heute auch Regen vorausgesagt wurde ….? Es reicht uns eine Terrasse im Freien, bloß, daß wir unter einem Dach liegen könnten???? Ist es auch möglich unseren Gaskocher anzuwerfen, um Hamburger zu machen, wir sind schon sehr hungrig“

„wieviele seid ihr denn?“ frage ich vorsichtig

„wir sind zu 8.“

Der Mann und ich sehen uns an – Kindern können wir nie widerstehen, das Wort „hungrig“ rührt mich fast zu Tränen und so ich bitte die drei herein, um sich unsere „Gegebenheiten“ mal anzusehen. Die mutigen drei Jungs, zwischen 9 und 12 Jahren kommen selbstbewusst in den Garten, inspizieren die Lage und meinen: „ja, das wär super hier! Können wir die Pflanzen da alle zur Seite räumen, so daß alle Platz haben mit den Schlafsäcken?“ Nach kurzer Überlegung, wie es wohl aussieht, wenn eine Pfadfindergruppe unseren Garten umgestaltet, beschließe ich, sie im Haus unterzubringen. „kommt mit Jungs, ich hab eine viel bessere Idee“

Wir machen einen Lokalaugenschein in den Schlafzimmern und beschließen: so wird´s gemacht!!!

Kommst du nicht zum Abenteuer, so kommt das Abenteuer zu dir – gibt´s dieses Sprichwort? Keine Ahnung, aber es passt!

Erwartungsvoll sitzen Fritz, mein lieber Mann und ich wieder auf der Terrasse und sind gespannt, wie es wohl weitergehen wird? Grundsätzlich bin ich grad sehr schläfrig und würde mich am liebsten ein wenig hinlegen, als alles seinen Lauf nimmt …… acht Pfadis traben in den Garten mit riesigen Rucksäcken, bepackt wie die Esel und grüßen uns freundlich!

„I can´t believe it …..“ der Ohrwurm hat ja wirklich einen tieferen Sinn heute.

Das treibt den Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen!!!! „Hallo, ihr alle, willkommen!! Ich würd mal sagen, alle Rucksäcke hier ins untere Wohnzimmer, Bergschuhe auf die Stiegen …. Das nächste Gewitter ist bereits im Anmarsch!“

Die Rucksäcke sind so groß, daß man Mühe hat, das Wohnzimmer zu durchqueren. Ich erkläre den Begleitpersonen meine Küche und innerhalb von drei Minuten sitzt die gesamte Pfadigruppe am Tisch und die beiden Betreuer, Lisa (16 Jahre) und Julius (15 Jahre) brutzeln Fleischlaberl für ihre Hamburger. Ich pack´s grad überhaupt nicht, alles ging so schnell und ich hab alle Hände voll zu tun mit Gläsern, Getränken, Geschirr ….. obwohl sie alles selber mithaben und gar nicht auf unsere Hilfe angewiesen sind. Nach ca zehn Minuten essen alle ganz happy und freuen sich auf  diese Nacht in unserem Haus!

Mimi kommt mit Lenny, begrüßt begeistert die Gruppe und fragt Lisa, die Betreuerin, ob sie die Mutter von allen sei …? Dann geht sie in den Garten und schneidet einen Baum um …. Auch Dani kommt und traut seinen Augen kaum: „Bitte?? Was ist das? Was ist da los?“

Ich frage die Kinder, wo sie noch um Herberge gefragt haben. Bei einer Familie in der Siedlung haben sie zuerst geläutet und wurden barsch und bestimmt verscheucht ….. dann kamen sie zu uns.

„Woher kommt ihr denn eigentlich?“ frage ich neugierig. Die Gruppe kommt aus der Nähe von Bremen. Sie fuhren mit dem Zug nach Wien und marschierten von Orth an der Donau los, in fünf Tagen treffen sie in der Hinterbrühl auf andere „Sippen“, wo ein großes Zeltlager aufgeschlagen wird. Außer den beiden Betreuern sind es fünf  Buben und ein Mädchen, Lisa – sie hat Gott sei Dank ein Namensschild. „Lisa, bitte sag mir die Namen der anderen Jungs … ich schreib mir alle auf“

Henry, Fabi, Timon, Alex, David. Mit meinem Schummelzettel funktioniert das hervorragend und es dauert nicht lange, bis ich die Jungs ganz easy schon mit ihrem Namen ansprechen kann.

Fritz verabschiedet sich, Dani flüchtet, Mutter schleppt Äste durch den Garten, bis ich sie freundlich, aber bestimmt mit Lenny heimschicke und von ihr noch Eier und Milch hole!

„I can´t believe it …..“ der ist aber heute hartnäckig

So, jetzt können wir uns mit voller Hingabe unseren neuen Kindern widmen! Sie entdecken Franky, der neugierig, aber vorsichtig ins Wohnzimmer trabt: „Oh! Ist der aber niedlich!!!! Hallo Pfeffernase!!!“ Franky ist sein neuer Kosename ziemlich wurscht und er läßt sich artig von zwölf Kinderhänden streicheln.

Das Haus ist voll mit Kinderlachen und wir quatschen und tratschen, erfahren alle möglichen Dinge über die Schule, Urlaube, Väter, die gerne Marmelade einkochen, strenge Mütter, die auf bewusste Ernährung wertlegen und wer in wen verliebt ist oder war.

Lisa fragt, wo man in der Nähe Postkarten kaufen kann – die Kinder wollen gerne mal nach Hause schreiben. „Geh bitte, ihr könnt meinen PC benutzen, sie können doch mailen?“ „Danke, nein, die Kinder haben keine handys mit, keine Computer, das ist auch Teil der Philosophie, daß sie mal eine Zeitlang ohne diese Dinge auskommen“

Na serwas, und da kommen sie genau in unser Haus? Fernseher, PCs, Tablets in jedem Zimmer, sogar bis in die Nassräume?????

„Bitte, Uschi und Günther spielt mit uns das Werwolf-Spiel!!!!!“  Ok, wir werden es versuchen ….. Julius, der Teenagerbetreuer erklärt uns das Spiel und ich verstehe nur Bahnhof. Hilfesuchend suche ich die Augen des Mannes, kann aber auch in ihnen nur große Fragezeichen erblicken – na egal, Alex sitzt neben mir und lispelt leise: „Ich werde dir helfen“.

Jeder bekommt eine Karte mit einem Symbol drauf, mein Symbol ist die Ortschaft – glaub ich zumindest. Alle müssen die Augen schließen. Julius ist der Spielleiter und beginnt: „Die Hexe erwacht! Ich tippe jetzt die Verliebten an!“ ich spüre er kommt in meine Richtung und tippt mich an ….? Was jetzt? „Alex!!! Was muss ich tun?“ „bleib schlafend“

Julius: „Der Werwolf tötet den Seher. Das Volk erwacht. Der Seher und der Werwolf schlafen …….“ Und so weiter und so weiter. Ich hab überhaupt keine Ahnung, worum es in diesem Spiel geht und was das Ziel des Spieles ist, also beschließe ich, einfach liegenzubleiben und wirklich ein wenig zu schlafen. Oje, das Spiel ist aus, ich muss erwachen. Mitleidig sehen sie den Mann und mich an, sind ja aber so gut erzogene Kinder, daß sie freudig beschließen, wir spielen das Spiel gleich nochmals. Wir halten durch!!!

Als sie begeistert nochmals spielen wollen, lenke ich sie mit einem billigen Trick ab und schreie: „Wer will Pfannkuchen????????“

30 Palatschinken später sind alle wirklich satt und glücklich! Ich streune mit der Sippe durchs Haus, wir suchen Pfeffernase und Lola und der Mann wird von den beiden Aufpassern in die Geschichte der Pfadfinderei eingeweiht.

Die Kinder sind soooooooooooooooooo lieb! Ich bin restlos verknallt!!!

„Sunshine, sunshine raggae …..“

Ich geh mit ihnen in den Keller und zeige ihnen die Firma. Ich bin sprachlos! Die Kinder sind total begeistert!! Sie fragen und fragen, wollen alles wissen über die Maschinen, den Siebdruck und als sich der Mann dazugesellt rufen sie ganz begeistert: „Günther, du hast den geilsten Job der Welt! Du bist ja Pickerlfabrikant!!!!!“

Um nichts auf der Welt wollen sie wieder raufgehen, schnorren sich jeder so viele Pickerl, wie sie bekommen können, auch wenn es sich dabei nur um Überprüfungsplaketten, Gasflaschen- oder Aufzugskleber handelt. Immerhin finden wir noch echte Rapid-Wien Pickerl! Mit fetter Beute und glücklichem Lächeln vergleichen sie untereinander die Geschenke und beschriften sie fein säuberlich auf der Rückseite, damit jeder daheim wieder weiß, wem sie gehören.

Zu später Stunde bekommen wir noch Besuch von zwei weiteren Pfadibetreuern, die sozusagen in einem Begleitfahrzeug für unvorhergesehene Situationen zum Einsatz kommen.

„Ich will euch jetzt nicht beunruhigen, aber ein Mädchen der anderen Sippe hat Kopfläuse und wir müssen die Kinder alle untersuchen, ob sie auch befallen sind ….“ Erklären sie uns, nachdem sie sich freundlich vorgestellt hatten.

Also Kinder kommt alle rauf, wir gehen auf  Nissensuche.

Fabi macht ein Foto und meint lapidar: „Ich brauch ein Foto von dieser Läuse-Absuch-WG“ Wir hantieren mit Lupe, extra Beleuchtung, Lauskämmen und beruhigen die weinende Laura, weil wir ein kleines schwarzes Irgendwas auf ihrer Kopfhaut finden.

„Nein, das ist Dreck“ meint Lisa „wir haben gestern in einem Fluß gebadet und dort war es ziemlich gatschig“  Niemand hat Läuse!!! Bevor die beiden Burschen wieder losfahren, wird uns (Mann und mir) feierlich ein Abzeichen der Pfadfindergruppe „Wikinger“ als Dankeschön überreicht!

Mittlerweile ist es schon 23.30 Uhr, die Betten sind gemacht, die Zimmereinteilung perfekt: alle 5 Burschen schlafen wie die Ölsardinen in meiner kleinen Bibliothek und die anderen drei im Hotelzimmer! Ich quatsch noch ein bissl mit ihnen, mache Fotos und dann heißt´s : Gute Nacht, liebe Kinder! Morgen um 6.30 Uhr ist Tagwache, es wird ein heißer Tag und je früher ihr aufbrecht desto besser!

Der Mann und ich fallen müde und glücklich ins Bett und freuen uns, daß wir unverhofft so nette Menschen kennenlernen durften. Er meint:“Wenn ich das in ein paar Jahren irgendwem erzähle, sagen wieder alle ….. ja, ja Mandl, genau! Acht Pfadfinder ….. na sicher ……. hahahahaha

Besonders artige Kinder sind uns ja normalerweise immer suspekt gewesen, diese hier sind auch „artig“ aber in einer ganz besonderen Art und Weise: locker, lustig, keiner jammert, keiner maunzt, jeder hat seine Aufgabe, der gegenseitige Umgang ist, ist, ….. wie soll ich sagen … total liebevoll.

Ich stelle mir den Wecker auf  05.45 Uhr!!!!!!!!!!!!!!!! ICH!!!??????

Ja, ihr habt richtig gelesen: ICH STELLE MIR DEN WECKER AUF 05.45 UHR und das Wichtigste, als er läutet, springe ich aus dem Bett.

„ I woke up this mo-ho-rning ….“

Zwei Mokka reichen, ich schmeiß mich aufs Radl und düse zum Bäcker: 20 Semmeln, 10 Briochekipferl, 10 Trinkkakao, halben Kilo Wurst und halben Kilo Käse …….. als ich zurückkomme sind schon die ersten wach und gleich geht’s wieder rund!

Ein köstliches Frühstück gibt es, guten Morgen liebe Kinder!!!!

Die Reste werden zu Lunchpaketen verarbeitet und dann geht’s schon ans Rucksackpacken. Oh mein Gott, die Rucksäcke sind so schwer, ich kann einige davon nicht mal heben …..

Julius und Günther sehen sich nochmal die Karte an – sie marschieren von uns auf die Donauinsel, dann weiter nach Klosterneuburg. Rasch noch die letzten Fotos im Garten und vor dem Haus: Lebt wohl, Kinder!!! Alles, alles Gute! Es hat so Spaß gemacht mit euch! Wenn ihr wieder in Deutschland seid, bitte schreibt mir ein Mail, wie es euch weiter ergangen ist!!!!!!!!! Wir werden oft an euch denken!!!!

„I can´t believe it ….“ Der Ohrwurm bleibt mir heute.

Und die Moral von der Geschicht? Man sollte viel öfters JA sagen!

PS: Ich kann ja doch zeitig aufstehen 🙂

 

 

 

 

 

 

 

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