Reisezeit

21.Jun.2015 von

Flughafen fahren. Im erweiterten Familienverband hab ich bereits den Beinamen „uschicat“ weil ich sehr häufig und sehr gerne Leute vom und zum Flughafen transportiere. Es stillt ganz sanft meine eigene Reiselust, der ich im Moment, wie man so schön sagt: aus beruflichen Gründen, nicht so wirklich nachkommen kann. „Abflug“ gestalte ich unspektakulär: ich parke kurz in verbotener Zone, lasse die Reisenden aussteigen, wünsche schönen Urlaub und brause wieder heim.

„Ankunft“ hingegen liebe ich sehr und zahle freiwillig die sündteuren Parkgebühren, nur um mich in die Reihe der Wartenden zu mischen. So geschehen vorige Woche, als ich den Fortpflanz (Danke, Polly Adler, für diesen herrlichen Ausdruck!) abholen darf, der ein paar Tage in Malta weilte.

Die Anzeigetafel zeigt eine erhebliche Verspätung der Valetta Maschine an und selbstverständlich werde ich mich nicht in ein Kaffeehaus setzen, sondern einen Beobachtungsposten in der ersten Reihe am Geländer einnehmen. Man kann es sozusagen auch als Hobby betrachten: ich will ALLES sehen: welche Menschen kommen, was sie anhaben, welche Koffer sie verwenden, wie sie dreinschauen, ich will erraten, woher sie anreisen, ich möchte emotionale Wiedersehensszenen verfolgen usw, usw ….. es ist wie Kino für mich.

Mein Posten ist perfekt gewählt. Ich stehe exakt vor der riesigen Schiebetür, die mich immer an diese „Herzblatt Sendung“ erinnert. Links von mir eine Gruppe junger Mädchen, die seit Stunden auf jemanden zu warten scheint, der offensichtlich doch nicht kommt. Sie beratschlagen, wie lange sie noch bleiben sollen. Rechts von mir ein professioneller Abholer, der, mit einem Namensschild bewaffnet, ohne Luft zu holen, arabisch telefoniert.

Tür auf. Tür zu. Tür auf. Managertypen in Anzügen mit kleinen Laptoptaschen. Urlauber, braun gebrannt, ausgebleichte Locken, ein Rollstuhl mit Gipsfuss voran wird aus der Tür geschoben, eine dunkelhäutige, ältere Dame lächelt in meine Richtung und begrüßt überschwänglich ihre Tochter, die neben mir wartet. Phillipinos? Der dazugehörige, proletoide Ehegatte, versucht sich in englisch und meint genervt: „heast, schwieger mother, we are waiting so long of you ….?“ Der Araber telefoniert immer noch, es hört sich an wie ein Maschinengewehr und ich überlege, was er wohl sagt und zu wem?

Die Gruppe der Wartenden formiert sich neu. Ein Teil davon geht. Neue rücken vor. Nun, rechts von mir Oma, Mutter, Kind, die auf Opa warten. „Jo, wo is da Opa? Schau moi, glei kummt a aussi ….“ Tür auf. Tür zu. Super gekleidete, junge Frau. Tolle Figur. Tolles Outfit. Selbstbewusst. Die Hose sieht echt leiwand aus, ob die mir auch passen würde? Kurz überleg ich, sie zu fragen, wo man die kaufen kann und kichere leise in mich hinein. Ich verfolge sie mit meinen Blicken und sehe, sie wird von einem ebenso feschen, gestylten Typen abgeholt. Lang war sie aber sicher nicht weg, die Begrüßung war nicht emotional genug.

Ha! Diese Familie sieht lässig aus! Hinter mir wartet eine 4köpfige Hippiefamilie, die sofort meine ganze Aufmerksamkeit bekommt. Die Eltern im Woodstockstyle, Sohn und Tochter, wie ich zumindest annehme, ebenfalls alternativ gekleidet, jeder hält einen kleinen Luftballon in der Hand, auf dem ein smilie gemalt ist. Sie wirken aufgeregt, neugierig und überaus glücklich. Wen holen sie ab??? Den Freund der Tochter? Einen Bruder? Noch eine Schwester vielleicht?

Die Ereignisse in der Gruppe der Wartenden überstürzen sich förmlich … neben mir plötzlich ein wunderschönes, junges Mädchen mit einem riesigen, selbstgemalten Transparent, das ich blöderweise nicht lesen kann …. Der Araber redet immer noch, vorallem ur laut …… links neben mir haben sich weitere Profi-Abholer mit Namensschildern postiert. Die Hippiefamilie reckt die Hälse und steht auf Zehenspitzen, um ganz weit nach hinten zu sehen, wenn die Tür wieder aufgeht. Das hübsche Mädchen, rechts von mir, stösst einen kurzen Schrei aus und wachelt mit dem Transparent einem jungen Mann zu …. er strahlt übers ganze Gesicht …. jetzt steh ich auf Zehenspitzen und recke meinen Hals, um zu sehen, wie sich die beiden am Ende des Ausgangs leidenschaftlich in die Arme fallen.

Valetta gelandet. Na geh! Bitte noch nicht!!! „Schau, jo, do is a jo, da Opa. Geh hi zu eam…..“ das kleine Kind läuft dem Opa in die ausgetreckten Arme. Flippiger Opa. Wo war der ganz alleine? Ich kann leider den Kofferanhänger nicht lesen … soll ich fragen? Großer Koffer. War lange weg, aber wo?? Ich blicke mich um, die Hippies sind noch da. Tür auf. Tür zu. Anzugmänner. Flugbegleiterinnen. Ich grüble, mit wem ich lieber tratschen würde, mit einem Anzugmann, oder mit dem Hippievater. Letzterer gewinnt selbstverständlich.

Oh, nein! Der Fortpflanz kommt aus der Tür lächelnd auf mich zu: „Hi! Sorry, daß du so lange warten musstest ….!“ „Schon gut, kein Problem, war´s schön bei euch? Geht ruhig schon mal vor, eine Zigarette rauchen draußen, ich muss kurz noch warten …..“ Fragende Blicke. „Das würdet ihr ja doch nicht verstehen …“

Jetzt. Jetzt hüpfen sie aufgeregt, freudig, lachen, rufen und ich sehe auch eine kleine Träne auf der Hippievaterwange …… die Hippiefamilie läuft mit ihren kleinen Luftballons einem Hippiemädchen mit riesigem Tramperrucksack in die Arme!! Wo war sie? Was hat sie alles erlebt? Was wird sie erzählen? Nix gegen euch, Fortpflanz, aber irgendwie würd ich jetzt lieber mit den Hippies mitfahren …… 🙂

 

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