Alter Sommer

21.Aug.2016 von

Langsam verliert der Sommer an Kraft. Nach Sonnenuntergang braucht man eine Decke, um draußen noch zu lesen, selbst, wenn der alte Kater sich umständlich auf mir ein Plätzchen sucht. Mit sanfter Wehmut schau ich in den Garten. Am ersten Blick könnte man meinen, der Sommer ist erst im Anmarsch. Oleander in allen Farben, voll mit Blüten, der Feigenbaum trägt Früchte, als ob er die ganze Familie davon ernähren müsste, die Gräser wuchsen wieder höher, als je zuvor und rascheln leise im Wind und die Sonnenblumen beginnen erst jetzt zu blühen in schwindelnder Höhe. Nur wenn man den Blick ein wenig weiter schickt, sieht man das kleine Sonnenhutfeld und denkt: der Sommer ist alt geworden. Es kostet wie jedes Jahr viel Überzeugungskraft, die alte Mutter davon abzuhalten, die verblühten, braunen, strohigen Sonnenhüte abzuschneiden: „Bitte Mutter, lass sie stehen! Sie sind so wunderschön herbstlich anzusehen!“

Nahezu alles lasse ich stehen bis weit in den Herbst hinein, manchmal sogar bis zum nächsten Frühling.  Zu sehr liebe ich die verblühten Pflanzen. Sie alle haben das Recht, so lange zu bleiben, bis das letzte Samenkorn die Erde bedeckt, um uns nächsten Sommer doppelt so viele Blüten zu schenken!

So wie unsere Tiere, denk ich und wickel mich tiefer in die Decke. Der alte Kater darf auch so lange bleiben, wie er mag. Wir tragen ihn auf Händen, seit wir wissen, dass sein Herz alt und krank ist. Spitalsaufenthalte, viele, viele Tabletten, düstere Prognosen und trotzdem immer noch ein gemütliches Katzenleben. Wir erfüllen ihm und seiner Schwester jeden Wunsch. Die Schwester, die kleine, zierliche, quirlige, ist taub geworden auf einem Ohr. Der aufmerksame Sohn, bemerkte es sofort: „Lola hört nichts!!!“ Dann fiel es uns ebenfalls auf: Sie reagiert nicht auf Rufe, auch wenn wir sie anbrüllen. Sie hat veränderte Gewohnheiten, schläft plötzlich auf der Terrasse. Bringt keine einzige Maus mehr!?

„Heuer musstest du noch gar keine Maus retten, die ihnen im Haus entwischt ist!“ Das Katzenleben ist ruhiger geworden sollte man meinen …

„Franky, komm, gehn wir heia machen, es wird schon kalt draußen“ er versteht jedes Wort und trabt neben mir her ins Schlafzimmer. Schläft schnurrend ein.

Mitten in der Nacht springt er plötzlich auf, wie von einer Tarantel gestochen, rast aus dem Zimmer und beginnt wie wild zu schreien. Ich bin so erschrocken und kenn mich im Halbschlaf zuerst nicht aus, wecke den Mann, der in der Sekunde aus dem Bett springt. Riesen Lärm! Schreien von Katzen, Brüllen vom Mann … jetzt erst realisiere ich das Chaos: Carlo, der Erzfeind, der Riesenkater vom Nachbar! Er wagt es!!?? Er kam über´s offene Küchenfenster ins Haus und marschierte schnurstracks Richtung Schlafzimmer! So eine Frechheit! Unverfrorenheit! Skandal! Wie kann man unserem Franky Kater mit Herzschwäche so etwas Abscheuliches antun??

Kopfschüttelnd und entsetzt legen wir uns alle wieder hin als der Feind in die Flucht geschlagen war. Sogar der Kater kuschelt sich wieder zu mir, als ob nichts passiert wäre. Allerdings spüre ich, wie sein Herzschlag rast und seine Pfoten nass geschwitzt sind. „Ganz ruhig, Franky! Du bist ein super Kater! Da kann sich so mancher Wachhund was abschauen von dir! “

Armer alter Kater!

 

 

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