Wohnungssuche in Wien

24.Jul.2013 von

Gemütlich schlendere ich vom Karlsplatz zur Sezession. Treffpunkt: 9.30 Uhr vor dem „Goldenen Dachl“ Wien´s. Ein wunderschöner, sonniger Samstag. Ich hab alle Zeit der Welt, denk ich fröhlich, hab mir den heutigen Tag freigenommen, um mit Indira Wohnungen zu besichtigen. Indira, die Schwester meines allerliebsten tschetschenischen Freundes Umar, lebte mit Mann und drei Kindern die letzten Jahre im Burgenland. Die Familie  hat bereits eine Zulassung in Österreich. Indira möchte jedoch nach ihrer Scheidung ihr Domizil in Wien aufschlagen.

„Selbstverständlich komme ich mit, wenn du Wohnungen in Wien besichtigen willst!“ stimme ich sofort zu, als sie mich um Hilfe bittet, ohne darüber nachzudenken, daß ich für solche Vorhaben denkbar ungeeignet bin. Mit Wohnungsmaklern zu kommunizieren erfordert höchste Konzentration, Härte, Schlagfertigkeit und Skrupellosigkeit. Alles Eigenschaften, die ich ab und zu gerne hätte, die genetisch bei mir allerdings nicht angelegt sind.

Indira steht wartend vor dem „Goldenen Dachl“. Hübsch sieht sie aus, denke ich und wir umarmen uns freudig. „Danke, daß du dir Zeit genommen hast! In 15 Minuten kommt Nadja, die russische Maklerin, sie hat ein paar Wohnungen für mich zu besichtigen! Vorher muß ich aber noch dringend zur Toilette, weißt du, wo man hier eine finden kann?“ „In der Ubahn Station wird sicher eine sein. Wir eilen von der Sezession unterirdisch in Richtung Station. Weit und breit, kann ich kein WC Zeichen erkennen. Im Laufschritt rennen wir die ganze Station durch und stoppen erst beim Ausgang Oper und dem einzigen Häusel, das wir finden können. Das Wiener Walzer Klo um sage und schreibe 0,70 Cent für´s wischerln! Indira wirft hektisch das Geld ein, in ihrer Not ist es ihr glaub ich egal, wie teuer es ist. Nur: die Türe öffnet sich nicht und das Geld plumpst in die Kassa. Ratlose Gesichter, verzweifeltes Drücken an allen Knöpfen, begleitet von lauthalsen Wiener Walzerklängen. Keine Glocke, kein richtiger Mensch, den man fragen könnte …. Ich zücke mein Börsel und werfe nochmals 70 nach, die Tür geht auf und Indira verschwindet hastig im Walzertakt.

Der Tag fängt ja gut an, denk ich und wir laufen den ganzen Weg wieder zurück, fluchend und schimpfend auf die Lulu Preisgestaltung in der Wiener Innenstadt! Nadja ruft bereits an, wo wir bleiben. Rasch wieder ans Tageslicht, checke ich blitzschnell die Menschen, die vor der Sezession warten.

Ah, die sieht aus, wie eine russische Maklerin, überlege ich und will schon auf eine gepflegt aussehende Dame mittleren Alters zusteuern, als Indira mich in eine ganz andere Richtung zieht. „Добрый день!“ begrüßt sie Nadja, eine kleine, blonde, beleibte Russin, gehüllt in ein blitzblaues Ensemble, die sofort einen russischen Redeschwall beginnt. Misstrauisch sieht sie mich an „Iach kann niacht gut deutsch sprechchen!“ Für die nächsten Stunden sollte das der einzige Satz sein, den sie an mich richtete. Sie marschiert forsch los und wir beide hinterher.

„Wo will sie denn hin?“ frage ich Indira leise. „Sie sucht eine Sitzgelegenheit, wo wir uns unterhalten können.“

Hinter der Sezession offenbart sich mir ein kleines Wunder. Ich traue meinen Augen nicht, als ich mich mitten in einem entzückenden Lokal befinde: riesige, blühende Oleander, kleine Tischchen mit bunten Sesseln, Sitzgarnituren aus Europaletten gezimmert, kuschelige, bunte Pölster drauf, eine kleine Bar und chillige Musik. Die beiden rennen durch, ohne meine Euphorie zu bemerken, zur dahinterliegenden Wiese, die ebenso liebevoll mit Liegestühlen und kleinen Tischchen ausgestattet ist. Die Bar hat noch nicht geöffnet, also setze ich mich zu den heftig diskutierenden Damen. Ich verstehe kein Wort und verhalte mich ruhig. Ein sehr strenger Duft erreicht meine empfindliche Nase. Na serwas, die Russin hat anscheinend ein Opium Bad genommen. Ich kann sie nicht riechen und sowas sollte man sehr ernst nehmen! Sinngemäß bekomme ich mit, daß Nadja genau wissen will, welche Art von Wohnung Indira denn suche. Größe, Kosten, etc. Sie redet ununterbrochen und blättert geschäftig in ihrem riesigen Kalenderbuch. Mir wird langweilig und ich frage: „ Hat sie nun Wohnungen anzusehen …?“ Nadja versteht natürlich alles und funkelt mich an: „ So schnell geht das niacht! Iach muss wissen, was suchcht diese Frau!“

Um die Zeit ein wenig zu überbrücken, spaziere ich zur Bar, die nun schon geöffnet hat. Ein sympatischer, junger, fescher Mann ist beschäftigt, alles startklar zu machen für das angehende Geschäft. Neugierig frage ich ihn, seit wann es hier so eine bezaubernde Location gibt. „Wir haben heute leider den letzten Tag geöffnet! Das „francophil“ ist ein Wiener Festwochen Projekt und hatte nur während dieser Zeit geöffnet. Ich kaufe Mineralwasser und geselle mich wieder zur Russenmafia.

Indira raunt mir zu: „Gehst du mit mir zum Bankomat?“ „Was? Warum?“ frage ich entrüstet und kann mir die Antwort darauf gleich selber geben „Du gibst der doch nicht Geld, obwohl sie dir noch keine einzige Wohnung gezeigt hat? Ich kann diese Frau nicht riechen, sie stinkt bestialisch!“ Am Weg zur nächsten Bank erklärt sie mir, dass Nadja 500,– Euro Vorschuss möchte, um für sie „tätig“ zu werden. „So etwas ist nicht üblich, nein eigentlich komplett illegal. Kein normaler Mensch würde sich auf sowas einlassen ….“ „Ich brauche aber so schnell wie möglich eine Wohnung, das Geld wird dann von der Provision abgezogen.“ Meine Einwände bewirken nicht viel und so vereinbaren die beiden nach der Geldübergabe eine zweistündige Pause, um anschließend die ersten Wohnungen zu besichtigen.

„Du kommst jetzt mal zu mir nach Hause. Wir essen was und fahren dann mit dem Auto in die Stadt zurück! Die Wohnungen liegen sicher in ganz Wien verstreut, das geben wir uns nicht mit den Öffis!“ Während einer kleinen, angenehmen Rast im Garten, fällt mir auf, dass es immer noch nach diesem furchtbaren Parfum riecht. „Sag, kann es sein, daß DU …..?“ Ich schnuppere an ihrer Haut, sehen uns an und brechen in hysterisches Gelächter aus.

Erste Besichtigungsadresse 2. Bezirk. Es ist heiß geworden. Das zuvor wallende blaue Gewand klebt nun schon etwas an der schwitzenden Russin. Das Haus in Top Lage sieht ganz ordentlich aus. Die Wohnung, die sie uns zeigt, ist winzig klein. Für vier Personen sehr, sehr klein, um nicht zu sagen unmöglich. Naja, unmöglich ist nichts, denke ich. In der Not ist vieles möglich, aber so in Not ist Indira nun auch wieder nicht. Nächster Stopp 3. Bezirk. Zum Glück hab ich das Auto mit und ein Navi, packe die Russin auf den Rücksitz und ab geht’s zur Apostelgasse. Nadja sagt, wir sollen im Auto warten, sie geht alleine in die Wohnung, um uns anzukündigen. „Ankündigen? Was meint sie damit?“ frage ich entgeistert. „ Weißt du, in diesen Wohnungen leben noch Leute, die demnächst ausziehen müssen, weil sie schon länger keine Miete mehr bezahlen konnten!“ Mir krampft sich kurz der Magen zusammen „Ich sag dir gleich, ich besichtige sicher keine Wohnung, in der noch eine Familie wohnt, die demnächst rausgeschmissen wird! Ich finde das unmöglich und unmenschlich!“

Nadja steigt schwitzend und fluchend ins Auto, gefolgt von einer russischen Schimpfkanonade. „Was sagt Stinki?“ frage ich grinsend und Indira erklärt, dass die Familie in dieser Wohnung niemanden rein lassen will. „Bin ich froh! Wohin nun?“

3. Bezirk, Erdbergstrasse. Von Aussen sieht das Haus erbärmlich und runtergekommen aus, was vom Inneren des Hauses noch getoppt wird. Schmutzig, düster, verfallen. Die Russin keucht drei Stockwerke hinauf und läutet an einer Türe. Ein kurzer Blick in die Wohnung genügte, um zu beschließen: ich warte draussen. Ich kann nicht sagen, wie viele Menschen sich in diesem einen Raum aufhielten, der bis zum Plafond angeräumt war. Ein erschütternder Zustand. Die beiden kommen auch schnell wieder heraus, Indira schüttelt nur betroffen den Kopf.  Sie gehen noch ein  Stockwerk höher, es ist anscheinend schon der Dachboden. Das Stiegenhaus ist von oben bis unten voller Taubenscheiße und Federn. Ich weigere mich, weiterzugehen „Ich warte hier auf euch!“ rufe ich ihnen nach und sehe sie in der obersten Wohnung verschwinden. Zwei Männer sitzen stumm im verdreckten Stiegenhaus und werkeln an ihren Handies. Langsam gehe ich die Stiegen runter, rieche köstliche orientalische Gerichte, höre fremde Sprachen und Kinderlachen und versinke ein wenig in eine andere Welt, als von oben jemand ruft „Komm, bitte, komm nochmal rauf, ich will dir was zeigen!“ An Indiras Gesichtsausdruck erkenne ich eine Art Freude, sie nimmt mich an der Hand und führt mich in die Wohnung.

Die Frau des Hauses, eine Tschetschenin, mit langem, schwarzem Kopftuch begrüßt mich freundlich und sagt in perfektem deutsch, ich kann mich gerne umsehen. Das hätte ich allerdings in diesem Drecksloch von Zinshaus nie und nimmer erwartet: Eine wunderschöne, große, geräumige Wohnung, blitzblank sauber, aufgeräumt, gemütlich. Ich staune und sehe gedanklich Indira hier mit ihren Kindern ihr zukünftiges Domizil aufschlagen, gleichzeitig graut mir davor, bei jedem Besuch durch das entsetzliche Stiegenhaus zu müssen. Wir erfahren, dass die tschetschenische Familie, die schon seit Jahren in Österreich lebt, eine Gemeindewohnung bekommt und in ein paar Wochen übersiedeln wird.

Nadja drängt, sie hat gleich noch einen anderen Termin mit einem Kunden, sie müsse jetzt gehen. Indira überlegt laut, wo sie denn auf die Toilette gehen könnte, als zu meiner Überraschung Nadja meint: „Chomm zu mir in die Wohnung!“ Zuerst verstehe ich nicht, was sie meint, renne ihnen aber hinterher, zwei Stockwerke hinunter, wo Nadja ihre Wohnung aufsperrt. Sie wohnt also auch an dieser noblen Adresse …..

Während Indira das WC benutzt reißt sich die Russin in ihrer Mini Küche ihr verschwitztes Blau vom Körper und steht plötzlich vor mir in ihrem XXL BH, erklärend, sie sei ja nicht mehr die Jüngste, dieser Job reibt sie immer mehr auf. Hurtig streift sie sich ein frisches T-Shirt über und während sie wieder auf russisch mit Indira Details über die besichtigte Wohnung bespricht, wäscht sie einen Berg Geschirr ab. Ich erfahre, dass die Wohnung im Monat 550,– kostet, drei Monatsmieten Provision, sowie sechs Monatsmieten Kaution!

Indira wird langsam ungehalten, sechs Monatsmieten Kaution?? So viel Geld besitzt sie nicht und selbst wenn, würde sie so einen Betrag nicht bezahlen wollen. Mittlerweilen weiß ich, dass so hohe Kautionen zwar illegal und nicht gesetzmäßig, aber durchaus üblich sind. Es kommt oft vor, dass Mieter monatelang keine Miete bezahlen können. Die Wohnungseigentümer sichern sich auf diese Art ab, denn der Gerichtsweg, die säumigen Zahler aus der Wohnung zu bekommen, dauert in etwa sechs Monate.

Nach längerem russischen Palawer vereinbaren sie, dass Nadja ihren Chef fragen wird, ob er die Wohnung auch für drei Monatsmieten Kaution hergeben würde. Anschließend schmeißt sie uns mehr oder weniger raus, weil „ Iach muss nochch zu andere Chunde!“

„Was willst du jetzt tun?“ frage ich die mittlerweile genervte Freundin. „bitte überleg dir das gut, in dieses Horrorhaus zu ziehen! Die Wohnung ist wirklich schön und groß genug für euch, aber das Haus ….! Denk nur dran, deine Einkäufe rauf zu schleppen.“ „Komm, wir gehen nochmals zu der tschetschenischen Familie“ beschließt sie und wir läuten ein zweites Mal an. Die freundliche Frau gibt bereitwillig Auskunft über alle Fragen, die Indira wissen will. Rundherum öffnen sich auch die Nachbartüren und plötzlich finde ich mich wieder in einer Gruppe von Tschetschenen, die eifrig diskutieren, anscheinend über Wohnungen, Kautionen, Schulen, Kindergärten in der Umgebung. Wiedermal verstehe ich kein Wort, höre zu und beobachte die Menschen. „So! Jetzt gehe ich zurück zur Russin und hole mir mein Geld zurück! Es kann ja nicht sein, dass sie mir zwei Wohnungen zeigt und dann abhaut?“ verlautbart sie bestimmt. Das wird sicher lustig, freue ich mich auf ein weiteres Abenteuer an diesem Tag. Jedoch …. Die Russin öffnet nicht mehr.

Es ist noch viel heißer geworden, wir sind erschöpft, müde, es ist spät und Indiras Bus ins Burgenland fährt bald ab. „Vergiss es. Das Geld kannst du abschreiben! Wenigstens wirst du so etwas nie mehr wieder tun! Komm, ich fahr dich mit dem Auto zum Karlsplatz, wenn ich keinen Parkplatz bekomme, lass ich dich an der Ampel aussteigen!“

Das darf doch nicht wahr sein, was ist denn HIER los? Der ganze Ring abgesperrt? Wir werden umgeleitet auf die Lände und ich überlege, was wohl der Grund dafür sein könnte, als ohrenbetäubender Techno Sound an mein Ohr dringt. Loveparade!! Durchzuckt es mich und sehe schon die Trucks mit extatisch, tanzenden Leibern darauf langsam über den Kai fahren. „Willst du etwas sehen, was du noch nie in deinem Leben gesehen hast ….?“ Ein Parkplatz ist rasch gefunden, wir überqueren den Donaukanal und sind mittendrin! Lachend erkläre ich ihr, was es mit diesem Fest auf sich hat. Wir halten uns an den Händen, damit wir in den Massen von Nackten, Halbnackten, Verkleideten, schrillen Vögeln, Trackqueens nicht verloren gehen. Weil wir ja zum Karlsplatz wollen, gehen wir nicht in der Parade mit, sondern schwimmen gegen den Strom, was besonders eindrucksvoll ist, wie ich finde.

Ich bin voll angeheizt von den Massen und will nur noch tanzen, tanzen, tanzen. Wir schlängeln uns durch die bunte Schar, als ein offener, alter VW Käfer langsam an uns vorbei fährt. Am Rücksitz erkenne ich Hermes Phettberg, winke ihm zu und kreische hysterisch: „Hermes! Hermes!“  Er blickt mit müden Augen langsam in meine Richtung …. Naja, er kennt mich ja nicht, aber ich ihn! Indira ahnt wohl, dass ich mich voll der Parade hingeben will, zieht mich weiter und mahnt zur Eile …. Schade. Nächstes Jahr bin ich voll dabei!

„Der Bus fährt in 15 Minuten ab“ sagt sie atemlos. „Bleib cool, da können wir sogar noch einen Badeanzug für deine kleine Tochter kaufen bei H&M!“ Dieser Kaufvorgang dauerte – ohne Übertreibung – fünf Minuten! Pünktlich zur Abfahrt standen wir wieder vor der Sezession, wo in der Früh alles seinen Ausgang nahm. „Schlaf mal eine Nacht drüber. Wirst sehen, du findest ganz sicher eine hübsche Wohnung in Wien!“

Ein paar Wochen sind seither vergangen. Indira, die selbstbewusste, tatkräftige, positive, junge Frau ist bereits nach Wien übersiedelt. Sie hat über eine tschetschenische Freundin eine hübsche Wohnung im 16. Bezirk gefunden und mich dort schon freudig empfangen! Die 500,- Euro hat sie sich von der erbosten, schimpfenden Russin wieder zurück geholt! 🙂

 

Verwandte Artikel

Tags

Share

404